Die folgende phänomenologische Skizze basiert auf der Arbeit
aus verschiedenen Seminaren zu qualitativen Methoden, dort wurden
selbstentworfene Protokolle verwendet und nach der
“Workshop”-Methode analysiert.
Wegbereiter der Wut
Bevor wir wütend werden, sind wir
gewöhnlich irgendwie “schlechter Laune”. Oft hatten
wir einen schlechten Tag, sind überarbeitet oder
übermüdet. Vielleicht fühlen wir uns auch
körperlich nicht wohl. Ziemlich verbreitet ist auch, dass wir
vorher getrunken haben—es scheint klar, dass der Alkohol uns
irgendwie für Wut und andere Emotionen empfänglicher macht,
möglicherweise indem er unsere normale Selbstkontrolle lockert.
Ein anderer Wegbereiter der Wut sind unsere Persönlichkeiten
oder Temperamente. Manche Menschen sind prädestiniert, allen
Schwierigkeiten mit Wut zu begegnen. Ich meine, dass Menschen, die
relativ selbstzentriert sind (im Gegensatz zu "fremdzentriert"), bei
Schwierigkeiten leichter in eine emotionale Reaktion verfallen als
andere.
Die Umgebung oder das Setting könnte auch eine Rolle spielen.
Bestimmte Settings tragen eher zu Wut bei als andere: Wenn es
nämlich laut ist, verwirrend oder generell aufregend; wenn
man selbst Zeuge von Wut oder Aggression wird; wenn man sich an einem
Ort befindet, der sogar mit Wut oder Aggression assoziiert wird; wenn
Wut auf irgendeine Weise gefördert wird....
Zwar sind Stimmung, Persönlichkeit und Setting wichtige
Variabeln, sind sie für die Wut dennoch nicht
essentiell. Eine Stimmung, die allerdings auf inneren
Schwierigkeiten oder anderen Schwierigkeiten basiert, kann zu Wut
werden, wenn sie von einem kleinen aber unmittelbaren Problem
ausgelöst wird. Geschieht dies, stellen wir oft fest:
„das ist nicht wirklich das, was uns wütend macht“,
das heißt, das kleine Problem ist nicht das tatsächliche
Problem.
Ursachen
Worte, welche die “Auslöser” von Wut beschreiben,
umfassen zum Beispiel: es sei einem Unrecht getan worden, fehlende
Gerechtigkeit, Betrug, Misshandlung, Missgunst, Eindringen in die
eigene Privatsphäre, Verletzung gesellschaftlicher Normen,
Verletzung der Reputation, Hilflosigkeit, Frustration, blockierte
Ziele, Kontrollverlust und so weiter.
Die Essenz all dieser Auslöser ist, dass die eigenen
Erwartungen verletzt wurden, die Ordnung der eigenen Realität,
insbesondere im Bezug auf die persönliche Ordnung, das
heißt, auf die eigene Identität. Anders
ausgedrückt, reagieren wir auf eine Situation mit der Einstellung,
dass das jetzt nicht passieren sollte, besonders mir selbst nicht. Die
Dinge sollten auf ganz bestimmte Weise ablaufen: Ich habe Rechte, ich
habe meinen Stolz, meinen Ruf; was ich mache, geht nur mich etwas an,
ich sollte zuende bringen können, was ich mir vorgenommen habe, es
sollte so laufen, wie ich es mir vorgestellt habe; so laufen die Dinge
in dieser Gesellschaft, und bestimmte Abwandlungen bringen Chaos mit
sich und müssen vermieden werden; die Welt ist
rechtmäßig, eingeschlossen einer Art von Gerechtigkeit, die
über jeder nur gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeit
steht, und etwas oder jemand verstößt gegen diese
Rechtmäßigkeit.
Es ist jedoch klar, dass nicht jeder auf eine solche Situation mit Wut
reagiert. Wir könnten auch Angst empfinden und fortlaufen,
oder wir könnten Traurigkeit empfinden, dann versuchen wir
vielleicht, uns dem Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit
anzupassen.
Es gibt gute Gründe zu behaupten, dass Wut nicht das erste Gefühl ist, das wir empfinden, wenn wir ganz genau hinsehen, denn einige andere Gefühle gehen der Wut voraus. Zuerst kommt das bedrückende Bewusstsein, dass die Dinge aus den Fugen geraten sind. Angst wäre ein gutes Wort dafür. Es ist auch möglich, dass Traurigkeit der Wut vorausgeht. Damit ist ein Faktor, der die Wut von anderen Reaktionen auf Schwierigkeiten unterscheidet, ihre Position, denn sie kommt an zweiter Stelle.
Konkreter bedeutet Wut eine aktive Antwort auf die Schwierigkeiten.
Wut betrachtet das Problem als „dort draußen“ statt
„hier drinnen“, sie sieht das Problem als etwas, mit dem
man sich konfrontieren muss, statt davor wegzulaufen.
Obgleich unsere Wut zumeist von Menschen ausgelöst wird,
können wir auf alles mögliche wütend sein. Wir
werden auf Dinge wütend, wenn wir etwa eine Reifenpanne haben.
Etwas hält uns davon ab, das zu tun, was wir wollen, etwas nimmt
uns die Kontrolle über das eigene Leben, und deshalb werden wir
wütend.
Wir können auch auf uns selbst wütend sein, wenn wir zum
Beispiel etwas Dummes tun. Dies kann nur geschehen, wenn man sich
aufteilen kann in Opfer und Ursache, das heißt, wenn man einen
Teil von sich selbst „externalisiert“, so dass man diesem
Teil die Schuld geben kann, ohne dass man einsehen müsste, dass
man sich an die Gegebenheiten anpassen sollte. Immer handelt es
sich um einen „dämlichen Fehler“. Wenn man jemanden
schubst, der wütend auf sich selbst ist, dann wird dessen Wut
schnell auf dich übergehen, dann ist diese Person bald wütend
auf dich. Wenn man den Fehler aber vollends akzeptiert, wandelt sich
die Emotion in Traurigkeit.
Wir kennen auch die Stellvertreterwut, das geschieht, wenn wir
über etwas wütend werden, das anderen geschehen ist, selbst
dann, wenn das Ereignis nichts mit uns zu tun hat. Auch hier mag es
sich um das Empfinden handeln, dass etwas unserem Gerechtigkeitssinn
zuwider läuft; oder es kommt dadurch zustande, dass wir uns in die
Lage eines anderen Menschen versetzen können (Sympathie, Empathie,
Mitgefühl...).
Ein Kursteilnehmer drückte dies sehr schön aus: Er
sagte, dass die Wut aus deiner Seele kommt, also aus deiner
Identität, dem, was du bist. Trotz all der physischen und
verhaltensbezogenen Effekte, die so leicht mit Wut in Zusammenhang
gebracht werden, kommt sie im Grunde einfach „aus der
Seele“.
Körper
Die körperlichen Korrelate der Wut sind klar, selbst wenn wir
nur ein bisschen wütend sind. Der Herzschlag verändert sich,
wird zumeist schneller und scheint lauter zu werden. Die Atmung
beschleunigt sich. Die Körperhärchen stellen sich auf, wir
haben “Gänsehaut”. Der Körper, insbesondere das
Gesicht fühlen sich heiß an, wir werden rot. Man fühlt
sich leicht im Kopf oder hat das Gefühl, das sich Blut im Kopf
staut. Die Haut, besonders an den Händen, kann feucht werden. Die
Augen können tränen. Man bekommt Magenprobleme. Mund und Hals
fühlen sich trocken an, der Hals scheint sich zusammenzuziehen.
Unsere Muskeln sind angespannt. Das empfindet man oft so, als baue sich
Druck auf, ein Gefühl, als würde man gleich explodieren. Man
wird vielleicht „hyperaktiv“, hantiert unaufhörlich
mit irgendwelchen Sachen, knirscht mit den Zähnen, ballt die
Fäuste, wippt mit den Füßen. Man spricht eher lauter
und schneller als gewöhnlich.
All diese Anspannung kann uns ermüden, man bekommt Kopf-,
Nacken- und Rückenschmerzen, besonders dann, wenn wir „an
uns halten“. Doch generell fühlt man sich, als hätte
man viel zu viel physische Energie, als wäre man stärker als
sonst.
Wahrhehmungen
Wir werden auch hyperalarmiert, zumindest was Ereignisse betrifft,
die mit der Wut zusammenhängen. Das heißt, dass wir nur
bestimmte Dinge wahrnehmen (wollen) und andere nicht. Unsere
Aufmerksamkeit konzentriert sich natürlich auf das Objekt unserer
Wut, als wäre es mit einiger Wahrscheinlichkeit die Quelle
weiteren Ärgers. Das Objekt wirkt jetzt gefährlich.
Wir konzentrieren uns auch auf die Wut an sich, unsere Gedanken
verweilen darin. Die Gedanken drehen sich, “füttern”
die Wut, indem weitere Ungerechtigkeiten erinnert werden. Das wirkt wie
eine „Lawine“, denn man fühlt, wie man
tatsächlich die Kontrolle verliert. Die Wut treibt uns an, nicht
umgekehrt. Wir werden davon “aufgefressen”.
Wenn man wütend ist, fühlt man das Tier in sich. Es
funktioniert reflexartig oder instinktiv, und wir erwarten von anderen,
dass sie das verstehen. Würde uns in dieser Situation jemand
fragen, warum man wütend ist, reagierten wir entrüstet:
Wäre nicht jeder in meiner Situation wütend? Die Wut wird als
Verstoß gegen eine universelle Regel empfunden, nicht bloß
als Verstoß gegen unsere eigenen spezifischen Bedürfnisse
oder Wünsche. (Deshalb ist es so schwierig, mit einer
wütenden Person zu diskutieren!)
Unser Fokus ist eingeschränkt, wie beim Tunnelblick. Der Rest
der Welt „verblasst“ oder wird zumindest unwichtig.
Drängt sich die Welt auf—besonders in Form anderer Menschen,
sogar der Freunde—richtet sich unsere Wut auch darauf. Wenn ein
Freund beispielsweise versucht, uns zu beruhigen, schieben wir ihn weg
oder sagen ihm, er soll die Klappe halten. Wir sind nicht sonderlich
tolerant. Und es gibt nichts mehr, das uns Freude macht.
Wir verlieren die Perspektive—und genau das brauchen wir, um
die Kontrolle wieder zu gewinnen—und wir fangen an, die Welt als
feindselig und grundsätzlich unfair zu empfinden. Wir werden
vielleicht sogar paranoid und interpretieren alles durch die Wut. Wir
„sehen rot“, sehen die Dinge so, als seien sie zu nah, als
würden sie auf uns einstürmen.
Mit einiger Mühe erlangen wir vielleicht die Kontrolle ein
wenig zurück, doch das ist schwierig, und die Wut bleibt immer
unter der Kontrolle verborgen („es brodelt“). Wenn wir uns
nicht zusammenreißen, fühlen wir die Wut gleich wieder
aufsteigen. Leider sind uns die Bewältigungsstrategien in genau
dem Moment am unzugänglichsten, in dem wir sie am dringendsten
brauchen.
Im Grunde bedeutet das, dass es uns so vorkommt, als wäre uns
eine bestimmte Sichtweise aufgezwungen worden, dass wir die Dinge also
in dieser wütendenden Art und Weise sehen müssen. Alles, was
uns von der Wut wegbringen würde, wird ignoriert oder
uminterpretiert. Wir sind nicht mehr wir selbst, wenn wir wütend
sind.
Wünsche
All dies dient einem Ziel: Wir wollen zu einer Situation
zurückkehren, die vor dem Ereignis liegt, das unsere Wut
ausgelöst hat. Eigentlich übersetzt sich dies als das
Bemühen, die Person, das Ding oder das Ereignis zu zerstören
oder zu entfernen, oder eben alles, was der Entfernung oder
Zerstörung nahe kommt. Doch all dies ist nur ein Ersatz. Dieser
Wunsch ist kaum zu erfüllen: Man kann die Zeit einfach nicht
zurückdrehen.
Lösung
Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Am offensichtlichsten ist
die Aggression. Sie bedeutet ein physisches Bemühen, die Welt
wieder in einen Zustand zu zwingen, der dem Ausgangszustand
ähnelt, d.h. der Schuldige soll zerstört werden. Wir wollen
eine gerechte Welt wieder herstellen, eine gesetzmäßige
Welt, in der die Dinge so laufen, wie sie sollen. Wir wollen
Befriedigung, d.h. der Schuldige soll so leiden wie wir selbst. Das ist
dann „nur fair“.
Aggression bedeutet nicht notwendiger Weise physische Aggression:
verbale Aggression ist sehr beliebt. Worte sind symbolische Wesen, die
sogar noch mehr Schmerz verursachen können als Faustschläge.
Wir „reißen jemanden in Stücke“, wir
„machen ihn fertig“.
Die Konfrontation steht der verbalen Aggression sehr nahe, man gibt
seinen Gefühlen Ausdruck, lässt ihnen “freien
Lauf”. Das kann ein Schritt hin zum „zivilisierten“
Umgang mit dem Problem sein, doch diese Vorgehensweise neigt dazu, in
verbale Aggression zu münden.
Wenn man den Gefühlen freien Lauf lässt, verbal oder
tatsächlich angreift, entsteht ein seltsam positives Gefühl.
Es fühlt sich gut an, zumindest in dem Maße, in dem man sich
erfolgreich fühlt. Ein extremes Beispiel: Ein einziger Fausthieb
kann die unangenehme physische Anspannung und den engen psychologischen
Fokus in ein intensives amphetaminähnliches Hochgefühl
verwandeln. Man kann lächeln oder sogar lachen.
Wir können unsere Wut auch verschieben, indem wir zum Beispiel in ein Kissen boxen oder den Hund treten (oder den Ehepartner oder ein Kind). Dies ist aber letztlich unbefriedigend, dennoch bietet es unmittelbare Befriedigung, so dass dieses Verhalten habituell werden kann.
Die zweite große Möglichkeit ist das Unterdrücken der Wut. Wir verlassen den Schauplatz oder versuchen, uns abzulenken. Die meisten von uns haben im Laufe der „Zivilisation“ gelernt, Wut zu begraben. Doch wenn wir das tun, fühlen wir uns eher noch schlechter: wir weinen, entwickeln Kopfsschmerzen und andere Verkrampfungen, wir haben Schlafstörungen etc. Und psychologisch fühlen wir uns ohnmächtig, schwach, hilflos. Vielleicht schelten wir uns selbst, gehen immer wieder die Dinge durch, die wir hätten sagen oder tun sollen, und wir ziehen uns für eine Weile von allen gesellschaftlichen Kontakten zurück. Das ist als hätten wir beispielsweise zugegeben, dass die schlimmen Dinge, die man uns gesagt hat, tatsächlich wahr sind.
Die Wut wandelt sich in Traurigkeit um. Mit der Zeit hört es
auf, vielleicht auch weil wir ein mal „herzlich weinen“
können. Doch das ursprüngliche Problem, die
ursprüngliche Ungerechtigkeit bleibt, und dann träumen wir
vielleicht davon, wir erinnern uns hin und wieder daran, wir entwickeln
“Gram”, werden insgesamt reizbar, und wenn sich
ähnliche Situationen ergeben, wird unsere neu aufkommende Wut von
der ungelösten Situation noch verstärkt.
In beiden Fällen--Aggression oder
Unterdrücken—stellen wir uns die Aggression vielleicht nur
vor, und in unserer Vorstellung wird die Reaktion wesentlich grausamer
und dramatischer ausfallen, als in Wirklichkeit. Diese Vorstellungen
sind zwar angenehm, doch weil sie die Dinge nicht richtig stellen
können, kann auch das habituell werden. Manche meinen
schließlich, auch die Vorstellungen unterdrücken zu
müssen...!
Die dritte Zugangsweise ist die vielleicht vernünftigste und mit
Sicherheit die kultivierteste. Wir können die Situation gedanklich
restrukturieren, so dass sie nicht länger als Verstoß
gesehen werden muss. Man kann sich nämlich ein wenig distanzieren,
die Perspektive anpassen, einen Schritt zurücktreten und die Lage
einschätzen, das ganze Bild ansehen etc. Manchmal stellt man
vielleicht mitten in einer wütenden oder aggressiven Situation
fest, was man tut, man hört sich selbst sprechen, und man wird in
der Lage sein, sich der Wut zu entziehen.
Es ist schwer zu sagen, ob das wirklich rational oder nicht doch
zumindest partiell defensiv ist, d.h. restrukturieren wir die Dinge
oder biegen wir die Wirklichkeit zurecht. Wenn uns jemand angreift und
wir erkennen, dass die Person sich gerade nicht unter Kontrolle hat,
kann man die Situation restrukturieren, vergeben, vergessen und
weitergehen. Geschieht jedoch andererseits eine tatsächliche
Ungerechtigkeit, und man schüttelt sie ab, als ginge sie uns
nichts an, dann vermeidet man die Verantwortung.
Manche Leute sagen "I don't get angry; I get even." Auch das
stellt Restrukturierung dar: diese Leute verwandeln eine Situation, auf
die sie reagieren, in eine Situation, auf die sie ihre Kräfte
richten. Es wird eine Herausforderung daraus. Dies kann positiv oder
negativ sein: Säubern wir die Straßen von Drogendealern,
oder sind wir Mitglieder einer Bürgerwehr, „Zahn um
Zahn“?
Generell zerstreut sich die Wut, zumindest was ihre physischen
Symptome betrifft, eher langsam, selbst wenn man zuschlägt. Dies
wiederum führt uns zu der Annahme, sie habe mächtige
physiologische Unterstützung. Doch sie verfliegt. Der physische
Aspekt kehrt sich ins Gegenteil um. Anschließend fühlt man
sich sogar vielleicht besser. Man sammelt die Wut nicht wirklich
innerlich an—doch sie lässt sich immer aufs Neue
wiederbeleben, wenn das ursprüngliche Problem nicht
richtiggestellt wurde.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass Wut ein
„normaler“ und kein pathologischer Zustand ist. Es mag
bessere Wege im Umgang mit Schwierigkeiten geben, doch dies ist ein
sehr menschlicher Weg.
Die Essenz der Wut
Ich gehe davon aus, dass Wut unsere Antwort auf die Verletzung
dessen ist, was wir als Regeln der Realität betrachten, wenn wir
zudem wahrnehmen, dass wir uns dieser Verletzung nicht anpassen
können und sollten, dass die Quelle der Verletzung dort
draußen liegt und geändert werden sollte.
Die Wut ist eher größer, wenn die verletzten Regeln
gesellschaftlicher Art sind, und nochmals größer, wenn uns
die Regeln persönlich betreffen. Sie ist so persönlich und
gesellschaftlich, dass wir in einer Weise handeln, die nur auf Menschen
angewandt effektiv wäre, selbst wenn wir unsere Wut auf
Gegenstände richten (z.B. wenn wir einen platten Reifen treten und
anschreien).
Die Wut ist eng an physiologische Effekte gebunden, eindeutig
solche, die uns Energie zum Handeln liefern. Man denke an das
berühmte "fight or flight" [kämpfe oder flieh]. Es scheint
ein primitiver, tierähnlicher, instinktgeleiteter Prozess zu sein,
der zwar eindeutig menschlich ist, dennoch aber anderen menschlichen
Werten antagonistisch gegenübersteht.
Was die Wahrnehmung betrifft, so verändern wir uns auf dieselbe
Weise, d.h. wir sind aufmerksamer für die Quelle unserer Wut und
weniger aufmerksam für Dinge, die nicht relevant sind. Leider wird
die Vernunft überwältigt—vermutlich also etwas, das
für dieses Notfallprogramm nicht mehr bedeutsam ist.
Es ist unser Ziel, zur „Normalität“
zurückzukehren, zur Gerechtigkeit, Rechtmäßigkeit ....
Und da dies nicht ohne weiteres durchführbar ist, versuchen wir
uns diesem Ziel so gut wie möglich zu nähern.
Je nach Übung, Intensität unserer Wut, jeglicher
temperamentbedingter Neigung, die wir vorweisen, und je nach Situation
etc. entscheiden wir uns vielleicht für eine direkte
Herangehensweise, vielleicht mit Aggression oder zumindest mit verbaler
Aggression, oder wir versuchen vielleicht, die Wut zu unterdrücken
(die Normalität wiederherstellen, indem wir uns selbst
ändern), oder wir versuchen vielleicht die Situation neu zu
bewerten, d.h. sie nicht mehr als Regelverstoß und damit nicht
mehr als Ursache der Wut zu sehen. Die Effektivität jeder dieser
Herangehensweisen variiert beträchtlich, und jede hat ihre Vor-
und Nachteile.
Copyright 1998, C. George Boeree